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Folge 39 vom 19. April 2023
Folge 39 vom 19. April 2023: Wie wirken die dravidischen Ideen von Periyar in Indien bis heute nach?

Wie wirken die Ideen von Periyar in Indien bis heute nach? Gibt es heute noch dravidische Politiker in Indien und welche Forderungen sind spezifisch für sie?


Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:


Periyar entwickelte als Führer der Dravidischen Bewegung, Ideen auf der Grundlage der  Tamil Renaissance und vertrat deren Umsetzung in gesellschaftliche Realität. Diese Ideen leben durchaus auch heute noch – zum Teil als Ideale, zum Teil als Bestandteil der Realpolitik im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Zunächst einmal war die Dravidische Bewegung eine gesellschaftliche Basisbewegung. Dabei hat Periyar viele Erfolge erzielt. Einige seiner Anhänger:innen, darunter C. N. Annadurai, ein Drehbuchautor des tamilischen Kinos, haben seine Ideen und Ziele dann in die Politik getragen. Annadurai gründete eine Partei, die viele dieser Ideen in Realpolitik umsetzen wollte, wie die Abschaffung von Unberührbarkeit, die gezielte Förderung durch das Kastensystem benachteiligter Gruppen, sowie mehr Rechte und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen. Daraus ist die erste Dravidische Partei entstanden, die sich später in zwei Zweige aufgespalten hat. Aber seither sind diese Parteien, die beide aus Ideen der Dravidischen Bewegung heraus leben, die politisch bestimmenden Parteien in Tamil Nadu und bis heute an der Regierung. Viel des ursprünglichen Gedankenguts von Periyar ist in der Realpolitik dann etwas abgeschwächt worden. Es wurden viele Kompromisse eingegangen. Aber einiges vom Gedankengut der Dravidischen Bewegung ist durchaus umgesetzt worden und das hat zu vielen positiven Veränderungen geführt.

 
Folge 38 (2023)
Folge 38 (2023): Wie haben sich Christentum und Islam in Indien historisch verbreitet?

Wie haben sich Christentum und Islam in Indien historisch verbreitet?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Für das Christentum gibt es die Legende des Apostels Thomas, des Zweiflers, der auf seinen Missionsreisen nach Indien gelangt sein soll. Während Paulus nach Westen, nach Rom zog, ist er nach Osten aufgebrochen. Sein Grab wird heute in Chennai verehrt. Archäologisch findet man zumindest an der Westküste Südindiens etwa ab dem dritten Jahrhundert Hinweise auf frühe christliche Gemeinden, die sich dort gebildet haben. Das Christentum breitet sich mit der Zeit aus. Ein neuer Schub entsteht, als im 16. Jahrhundert Jesuitenmissionare auftauchen, aufgrund ihrer Herangehensweise beachtliche Erfolge erzielen können und viele Menschen für das Christentum gewinnen.
Was den Islam betrifft, so hat es lange vor Beginn unserer Zeitrechnung Austausch mit dem Nahen Osten gegeben. Beim Handel, dem Gewürzhandel - insbesondere Pfeffer ist begehrt gewesen - gelangt Elfenbein bis nach Griechenland und Rom. Auf diesem Weg ist schon wenige Jahrzehnte nach dem Ende des irdischen Lebens des Propheten Mohammed auch der Islam in Indien angekommen, eben mit Handelsreisenden, die sich dann um die Häfen herum ansiedelten. Warenlager entstanden und es bildeten sich Kolonien von Siedlern, die lokal heirateten und Familien gründeten. Auf die Art und Weise sind im selben Jahrhundert, als der Islam im Nahen Osten entstand, auch die ersten islamischen Communities im Süden Indiens unter der tamilisch sprachigen Bevölkerung entstanden und haben sich dann oft auch entlang der Handelsstraßen ausgebreitet. Eine wichtige Rolle haben auch die Sufis gespielt. Das waren islamische Mystiker, die als wandernde Pilger durchs Land zogen auf der Suche nach einer Vertiefung ihrer Gottesbeziehung und dann oft in Form von Gedichten und Liedern über Gott diese Botschaft weitergetragen haben an die lokale Bevölkerung.

 
Folge 37 (2023)
Folge 37 (2023): Wie hat sich der Hinduismus in Indien historisch verbreitet?

Wie hat sich der Hinduismus in Indien historisch verbreitet?


Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:


Die etwa zwischen 1.800 und 1.200 vor unserer Zeitrechnung einwandernden „Aryas“ kamen aus Zentralasien und brachten frühe Formen des Hinduismus mit, die dann dort in Indien an bereits ansässige Bevölkerungsgruppen weitergegeben wurden. Aus den frühen Formen des Hinduismus haben sich dann verschiedene Reformbewegungen, Asketenbewegungen entwickelt, darunter die Śramaṇas, deren Praktiken, das Yoga, heute bei uns sehr bekannt sind, aber auch Bewegungen etwa wie der Buddhismus oder auch der Jainismus, die als Reformbewegung von Asketen entstanden sind, die die Städte verlassen haben, um neue Wege zur Erlösung zu finden. Man kann sagen, dass sich religiöses Gedankengut des Buddhismus, des Jainismus oft mit dem Handel verbreitet hat. Es ist insbesondere von Reisenden und von Händlern weitergetragen worden und hat sich entlang der Handelsstraßen ausgebreitet. Auf ähnliche Art und Weise gilt das auch später für das Christentum und den Islam.

 
Folge 36 (2023)
Folge 36 (2023): Warum wurde die Dichterin Antal immer mit einem kleinen grünen Papagei dargestellt?

Warum wurde die Dichterin Antal immer mit einem kleinen grünen Papagei dargestellt?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Antal ist eine legendäre Figur, eine Mystikerin, eine Heilige und wird als solche verehrt. Ähnlich wie im europäischen Kontext bei Heiligenlegenden gibt es bestimmte Szenen aus dem Leben Antals, die immer wieder bildlich dargestellt werden. Zahlreiche Geschichten über Antal berichten von diesem Papagei, ihrem Begleiter und ihrem Boten, den sie als eine Art Haustier bei sich hat. Er taucht immer wieder auf und wird auch in ihren Gedichten erwähnt. Infolge dessen ist in die Ikonografie eingegangen, dass Darstellungen von Antal vor allem durch den Papagei zu erkennen sind.

 
Folge 35 (2023)
Folge 35 (2023): Wie sah die Altersversorgung der kontrovers gesehenen Tempeltänzerinnen aus?

Wie sah die Altersversorgung der kontrovers gesehenen Tempeltänzerinnen aus?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Grundsätzlich ist es so, dass sich die Rolle des Tanzes in der Gesellschaft verändert hat. Davon erzählt auch die Sonderausstellung „Von Liebe und Krieg. Tamilische Geschichte(n) aus Indien und der Welt“ im Linden-Museum Stuttgart. Bis in die Kolonialzeit hinein ist es so gewesen, dass die Tänzerinnen den Tempeln geopfert wurden als junge Menschen und dann bei Festen und Ritualen zu tanzen hatten. Das war kein sehr hoch angesehener Beruf und es gab immer wieder auch Gerüchte, dass sie nicht nur in den Tempeln getanzt haben, sondern auch sexuelle Dienste für Priester oder auch Patrone des Tempels zu leisten hatten, wobei es wenige gesicherte Informationen darüber gibt. Diese Gerüchte haben aber dann dazu geführt, dass die britische Kolonialverwaltung versucht hat, das zu unterbinden. Dadurch ist der Tempeltanz praktisch ausgestorben und ist dann neu entdeckt und neu erfunden worden als eine Kunstform, die nicht mehr im Tempel, sondern auf der Bühne stattfindet. Dadurch ist der Bharatanatyam, der Tanz Indiens, von Rukmini Devi Arundale, einer Brahmanentochter, die sich dafür interessierte und begeisterte, neu erfunden worden als eine Elitekunstform. Diejenigen, die heute den Tanz studieren und auf den Bühnen Indiens praktizieren sind eher Menschen, die aus gehobenen Gesellschaftsschichten und ranghohen Kasten kommen. Von daher hat sich die Bedeutung grundsätzlich gewandelt. Die Frage nach dem Schicksal der früheren Tempeltänzerinnen im Alter ist relativ einfach zu beantworten, denn das Phänomen gibt es heute noch. In den Tempeln gibt es sehr viele Speiseopfer und Rituale bei denen zunächst den Göttern Lebensmittel dargebracht werden. Diese werden dann hinterher aufgeteilt auf die anwesenden Gläubigen und deswegen siedeln sich im Umfeld der Tempel viele alte Menschen an, die sonst keinen Lebensunterhalt mehr verdienen, um von den täglichen Verteilungen von Lebensmitteln profitieren zu können. So wird es wohl auch den Tempeltänzerinnen damals gegangen sein.

 
Folge 34 (2023)

Wie hat die tamilische Kultur die indische Filmindustrie geprägt?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Die indische Filmindustrie hat mehrere große Zentren, in denen es Studios gibt und ganze Landschaften von Kulissen, in denen Filme gedreht werden. In Europa kennen wir hauptsächlich Mumbai und den „Bollywood“-Film, der von dort kommt. Es gibt aber ein vom Output her ähnlich großes weiteres Zentrum der indischen Filmindustrie in Chennai, Tamil Nadu – „Kollywood“ (nach dem Stadtteil Kodambakkam, in dem sich viele der Filmstudios befinden). Es gibt sehr viele tamilisch-sprachige Schauspieler und Schauspielerinnen, die dort ihre Karrieren beginnen, dann aber auch in Filmen anderer Regionen, etwa „Bollywood“-Filmen, mitspielen. Was den Film in Tamil Nadu besonders auszeichnet, ist, dass er eng mit der Politik und der dravidischen Ideologie verbunden ist, sodass viele Ideen wie die Kritik am Kastenwesen oder der Ungleichbehandlung von Frauen bereits sehr früh im tamilischen Kino zu finden waren. Das tamilische Kino nahm gerade bei diesen Themen eine Vorreiterrolle ein, die erst später von anderen regionalen Kinos aufgegriffen worden ist. Außerdem ist es so, dass viele einflussreiche Politiker in Tamil Nadu  die ihre Karrieren in der Filmindustrie begonnen haben, als Direktoren oder Filmstars berühmt geworden sind und dann in die Politik wechselten.

 
Folge 33 (2023)

Spielt das Kastensystem bei den Tamilen noch eine Rolle und woran erkennt man die Kastenzugehörigkeit?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:


In Tamil Nadu gibt es dabei große Unterschiede zwischen den unterschiedlichen sozialen Schichten und auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung. In der städtischen Mittel- und Oberschicht haben sich die traditionellen Geschlechterrollen weitgehend geöffnet. Es gibt sehr viele Möglichkeiten für Frauen, ganz unterschiedliche Wege und Lebensstile zu wählen. Auf dem Land und auch in der Unterschicht geht es häufig etwas traditioneller zu, sodass sich stärkere Aufteilungen von Lebens- und Arbeitsbereichen nach Geschlechtszugehörigkeit erkennen lassen und es schwieriger ist, diese Schranken zu überwinden. In Tamil Nadu wurde durch die Politik seit den 1960er-Jahren sehr viel dafür getan, die Möglichkeiten von Mädchen und Frauen zu fördern. Das drückt sich statistisch beispielsweise über ein weitgehend ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aus. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber nicht. Im Norden Indiens ist es nicht so und das hängt damit zusammen, dass beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche im Norden Indiens selektiv vorgenommen werden, weil man Söhne gegenüber Töchtern bevorzugt. Das hat sich in Tamil Nadu stark verändert. Darüber hinaus hat es auch eine sehr aktive Politik der Förderung des Zugangs zu Bildung gegeben. Sie lässt sich es nach wie vor erkennen, sodass die Alphabetisierungsrate von Frauen in Tamil Nadu, aber auch in Kerala sehr viel höher ist als im Norden Indiens. In Sri Lanka sind meines Wissens traditionelle Rollenbilder noch eher vorherrschend als in Tamil Nadu. Aber auch dort ändert sich in Städten wie Jaffna inzwischen vieles. Schranken und Grenzen sind dabei, aufgeweicht zu werden. Am deutlichsten zeigt sich das in der Diaspora, wo Menschen sich ganz neu orientieren und neue Wege gehen müssen.

 
Folge 32 (2023)

Bei uns ist der Begriff „arisch“ durch den Nationalsozialismus besetzt. Können Sie die Aussage einordnen, dass das Tamilische eine arische Kultur sei?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Die Aussage, Tamil sei eine arische Sprache, ist falsch. Denn es ist tatsächlich so, dass „Aryas“ eine (Selbst-)Bezeichnung der Menschen war, die vermutlich aus Zentralasien nach Indien eingewandert sind, die das Sanskrit mitgebracht und daraus das Hindi, die Hauptsprache Nordindiens, entwickelt haben. Die nordindische Kultur ist ganz stark durch die „Aryas“ und deren Nachfahren geprägt und Sprachen wie das Hindi gehören zur sogenannten „indogermanischen Sprachenfamilie“. An dieser Stelle ist die Verbindung zu dem Gedankengut erkennbar, das die Nationalsozialisten aufgegriffen haben. Der Begriff hat tatsächlich eine gemeinsame Wurzel. Er bezieht sich hier aber auf eine Bevölkerungsgruppe, die in grauer Vorzeit nach Indien eingewandert ist und eine frühe indogermanische Sprache sprach. Im Gegensatz dazu sprechen die Tamilen eine dravidische Sprache, die mit den indogermanischen Sprachen nicht verwandt ist.

 
Folge 31 (2023)

Was kennzeichnet die Rolle der Frauen in tamilischen Gesellschaften sowohl in Tamil Nadu als auch in der Diaspora?


Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

In Tamil Nadu gibt es dabei große Unterschiede zwischen den unterschiedlichen sozialen Schichten und auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung. In der städtischen Mittel- und Oberschicht haben sich die traditionellen Geschlechterrollen weitgehend geöffnet. Es gibt sehr viele Möglichkeiten für Frauen, ganz unterschiedliche Wege und Lebensstile zu wählen. Auf dem Land und auch in der Unterschicht geht es häufig etwas traditioneller zu, sodass sich stärkere Aufteilungen von Lebens- und Arbeitsbereichen nach Geschlechtszugehörigkeit erkennen lassen und es schwieriger ist, diese Schranken zu überwinden. In Tamil Nadu wurde durch die Politik seit den 1960er-Jahren sehr viel dafür getan, die Möglichkeiten von Mädchen und Frauen zu fördern. Das drückt sich statistisch beispielsweise über ein weitgehend ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aus. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber nicht. Im Norden Indiens ist es nicht so und das hängt damit zusammen, dass beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche im Norden Indiens selektiv vorgenommen werden, weil man Söhne gegenüber Töchtern bevorzugt. Das hat sich in Tamil Nadu stark verändert. Darüber hinaus hat es auch eine sehr aktive Politik der Förderung des Zugangs zu Bildung gegeben. Sie lässt sich es nach wie vor erkennen, sodass die Alphabetisierungsrate von Frauen in Tamil Nadu, aber auch in Kerala sehr viel höher ist als im Norden Indiens. In Sri Lanka sind meines Wissens traditionelle Rollenbilder noch eher vorherrschend als in Tamil Nadu. Aber auch dort ändert sich in Städten wie Jaffna inzwischen vieles. Schranken und Grenzen sind dabei, aufgeweicht zu werden. Am deutlichsten zeigt sich das in der Diaspora, wo Menschen sich ganz neu orientieren und neue Wege gehen müssen.

 
Folge 30 (2023)
Aus welcher Region kamen die Tamil:innen ursprünglich und wie würden Sie die heutigen Beziehungen zwischen Tamil Nadu und Sri Lanka beschreiben?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Die Sprache - das moderne Tamil - geht auf eine sehr alte Sprache zurück, die auf eine circa dreitausendjährige literarische Tradition zurückblickt. Sie hat sich in dieser Zeit natürlich weiterentwickelt. Dabei entstanden verschiedene Zweige. Dazu gehört das moderne Tamil, das sowohl im indischen Bundesstaat Tamil Nadu, als auch auf Sri Lanka gesprochen wird. Dazu gehören aber auch benachbarte Sprachen wie das Malayalam, das in Kerala gesprochen wird, aber auch Kannada  und Telugu, die Sprachen von Karnataka, Andhra Pradesh und dem neuen Bundesstaat Telangana. Sie bilden eine Sprachfamilie, die „dravidischen Sprachen“ und haben einen gemeinsamen Ursprung. Kulturgeschichtlich wird die heute in die Bundesstaaten Tamil Nadu, Kerala, Karnataka und Andhra Pradesh aufgeteilte Region, aus der die  dravidischen Sprachen stammen, oft als Tamilakam bezeichnet. Dazu zählt natürlich auch Sri Lanka, das unmittelbar vor der indischen Küste liegt und wo es schon sehr früh Bevölkerungsgruppen tamilischer Muttersprache gegeben hat.

 
Folge 29 vom 18. Februar 2023
Folge 29 vom 18. Februar 2023: Wie kommen die Zahlen zu den Tamil:innen weltweit zustande, die in der Sonderausstellung 'Von Liebe und Krieg' grafisch präsentiert werden?

Wie kommen die Zahlen zu den Tamil:innen weltweit zustande, die in der Sonderausstellung „Von Liebe und Krieg“ grafisch präsentiert werden?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Es gibt einige Länder wie Indien, Sri Lanka und Malaysia, die Statistiken führen und in denen die Muttersprache im Zensus erhoben wird. Bei vielen anderen Ländern sind es Schätzungen, die auf den Angaben von Vereinen und Initiativen zur Pflege der tamilischen Kultur beruhen. Es gibt zahlreiche Publikationen über die Diaspora in verschiedenen Teilen der Welt, in den auch Schätzungen und Zahlen zu finden sind. Diese weichen zum Teil stark voneinander ab. Daher haben wir in der Ausstellung auch keine konkreten und präzisen Zahlen, sondern nur eine Größenordnung angegeben, die sich aus diesen Schätzungen aber durchaus ablesen lässt. 

 
Folge 28 vom 14. Februar 2023
Folge 28 vom 14. Februar 2023: Gibt es eine tamilische Community und eine gelebte Kultur und Sprache in der Region Stuttgart?

Gibt es eine tamilische Community und eine gelebte Kultur und Sprache in der Region Stuttgart?
 

Antwort von Dr. Georg Noack, Kurator Ostasien und Festland-Südostasien, Linden-Museum Stuttgart:

Ja, die gibt es durchaus. Genaue Zahlen darüber, um wie viele Menschen es sich handelt, liegen mir allerdings nicht vor. Es gibt vor Ort aber ein Tamil Sangam - einen Verein zur Pflege der Sprache und Kultur, in dem auch Klassen und Kurse für Kinder und Jugendliche aus der Diaspora angeboten werden. Darüber hinaus gibt es zwei überwiegend tamil-sprachige Hindutempel und auch eine tamil-sprachige katholische Gemeinde. Das zeigt, dass es sich um eine Vielzahl an Personen handelt. Wenn man in Stuttgart mit der U-Bahn fährt, hört man oft, dass Tamil gesprochen wird. Es sind Menschen, die auf ganz unterschiedlichen Wegen hierher gekommen sind. Es gibt viele, die ihre Wurzeln in Sri Lanka haben und von dort während des Konfliktes geflüchtet sind, aber auch jene, die als Hochqualifizierte in die Region Stuttgart kommen, um in der Industrie beispielsweise als Ingenieure oder IT-Fachleute zu arbeiten.

 
Folge 27 vom 3. Januar 2023
Folge 27 vom 3. Januar 2023: Wie wird man in Ozeanien ein 'big man'?

Wie wird man in Ozeanien ein "big man"?


Antwort von Dr. Ulrich Menter, Fachreferat Ozeanien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Der „big man“ ist eine soziale und politische Position, die vor allem in jenen Gesellschaften Melanesiens zu finden war, in denen keine institutionalisierten oder erblichen Führungspositionen existierten. Ein „big man“ ist jemand, der großen Einfluss besitzt, der bestehenden Entwicklungen eine Richtung geben und der neue Projekte anstoßen kann. Seine Rolle gründet auf einer Anhängerschaft, die er nicht zuletzt durch wirtschaftliche und ideelle Unterstützung gewinnt. Indem ein „big man“ anderen bei Tauschgeschäften, Schuldenzahlungen oder Beiträgen zu Festen und Zeremonien hilft, stärkt er seine soziale Rolle und Position, die ihm von einem großen Teil der Gesellschaft Anerkennung einbringt. Dies macht aber auch deutlich, dass sich ein „big man“ oftmals in einer prekären Situation befindet. Seine so gewonnene Führungsposition kann er durch nachlassende Anerkennung auch wieder verlieren.

 
Folge 26 vom 29. Dezember 2022
Folge 26 vom 29. Dezember 2022: Wurden die Malagane der Ozeanien-Ausstellung nur für den Verkauf hergestellt?

Wurden die Malagane, die in Ausstellung „Ozeanien - Kontinent der Inseln“ (2022) zu sehen sind, nur zum Verkauf oder für Ausländer hergestellt?


Antwort von Dr. Ulrich Menter, Fachreferat Ozeanien, Linden-Museum Stuttgart:


Angesichts der sehr großen Zahl von Malaganen in den Museumssammlungen drängt sich die Annahme auf, viele von ihnen seien bereits für den Verkauf angefertigt worden. Allerdings ist eine solche Vermutung nicht belegbar. Malagane wurden im Rahmen großer Totengedenkfeiern auf der Insel Neuirland einmalig präsentiert, um dann dem Verfall überlassen zu werden. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts war es dann aber durchaus nicht ungewöhnlich, die Kunstwerke nach ihrer zeremoniellen Präsentation an koloniale Reisende zu veräußern.

 
Folge 25 vom 20. Dezember 2022
Folge 25 vom 20. Dezember 2022: Woher kommt der Name 'Uli-Figuren'?

Woher kommt der Name der Uli-Figuren, die in der Dauerausstellung „Ozeanien - Kontinent der Inseln“ (2022) des Linden-Museums Stuttgart zu sehen sind?


Antwort von Dr. Ulrich Menter, Fachreferat Ozeanien, Linden-Museum Stuttgart:


"Uli" ist eine Bezeichnung aus den Sprachen des mittleren Neuirland, also genau aus jener Region, in der die Figuren auch eine zeremonielle Bedeutung hatten. Das Wort ist die indigene Bezeichnung für diese großen Zeremonialfiguren und es ist mir keine weitere Bedeutung bekannt. Der Begriff "Uli" hat sich auch durchgängig, nicht nur in der deutschsprachigen Ethnologie, zur Benennung der großen Skulpturen durchgesetzt.

 
Folge 24 vom 6. Dezember 2022
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Was zeichnete die Rolle der Frauen in den indigenen Gesellschaften Ozeaniens aus?
 

Antwort von Dr. Ulrich Menter, Fachreferat Ozeanien, Linden-Museum Stuttgart:
 

Bei einer Antwort auf diese Frage ist es sehr wichtig, zu differenzieren. Sie macht auch deutlich, dass „Ozeanien“ ein Konstrukt und kein einheitlicher gesellschaftlicher oder kultureller Raum ist. In Ozeanien existierten sehr viele und sehr unterschiedliche Gesellschaftsformen. Eine Gemeinsamkeit vieler ozeanischer Gemeinschaften war jedoch eine deutliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Es gab somit weibliche und männliche Bereiche im Handwerk, im Anbau oder bei der Jagd oder Tierhaltung, die mehr oder weniger deutlich voneinander getrennt waren. Insbesondere in Melanesien bezog sich diese Arbeitsteilung auch auf den religiösen Bereich: Es waren in der Regel die erwachsenen Männer, die Verantwortung für Zeremonien trugen, die für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung waren. Aber auch die Frauen führten Zeremonien und Rituale durch, die jedoch vor allem für den weiblichen Bevölkerungsteil Geltung besaßen. Weibliche und männliche Sphäre waren allerdings nicht voneinander getrennt, sondern komplementär. Erst das Zusammenwirken beider machte das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft möglich. Während sehr viele historische Gesellschaften Ozeaniens männlich geprägt waren, gab es insgesamt doch ein breites Spektrum der Geschlechterrollen. Gerade in den Adelsgesellschaften Mikronesiens und Polynesiens nahmen hochrangige Frauen wichtige und sehr bedeutende Positionen in den Gesellschaften ein.

 
Folge 23 vom 21. November 2022
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Die Masken der Dauerausstellung „Ozeanien - Kontinent der Inseln“ (2022) stammen aus dem späten 19. Jahrhundert. Werden solche Masken heute noch vor Ort benutzt?
 

Antwort von Dr. Ulrich Menter, Fachreferat Ozeanien, Linden-Museum Stuttgart:

Ozeanien ist eine Region großer kultureller Vielfalt. Die Masken, die im Linden-Museum Stuttgart ausgestellt sind, stammen alle aus Neuguinea, d. h. dem unabhängigen Staat Papua-Neuguinea sowie Westneuguinea, das heute ein Teil von Indonesien ist. Allein in Papua-Neuguinea existieren neben den großen Verkehrssprachen ca. 800 verschiedene Sprach- und Kulturgruppen. Es lässt sich also kaum eine allgemeine Aussage zu den ausgestellten Masken treffen, die alle aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. In den meisten Fällen sind solche Masken heute nicht mehr im Gebrauch. Es handelt sich also um historische Objekte und historische Kontexte. Ob ähnliche Masken weiterhin in Gebrauch sind, ist nicht zuletzt abhängig von der Durchführung der entsprechenden Feiern und Rituale, in die sie eingebunden waren oder sind. In vielen Fällen sind die jeweiligen Zeremonien aber eher eine Sache der Vergangenheit.


 


 
Folge 22 - 29. September 2022 
Folge 22 vom 29. September 2022: Was ist das meistbeachtete Objekt der Sammlung? 
  
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Folge 21 vom 22. September 2022: Wie geht man heute sinnvoll mit Begriffen aus der Kolonialzeit um? 
  
Folge 20 - 15. September 2022 
Folge 20 vom 15. September 2022: Wie werden Themen für neue Wechselausstellungen ausgewählt? 
  
Folge 19 - 6. September 2022 
Folge 19 vom 6. September 2022: Haben Sie im Kontext von Restitutionen schon darüber nachgedacht, gegebenenfalls Kopien auszustellen? 
  
Folge 18 - 29. August 2022 
Folge 18 vom 29. August 2022: Bleibt das heutige Museumsgebäude auch nach dem geplanten Umzug Teil des Linden-Museum? 
  
Folge 17 - 23. August 2022 
Folge 17 vom 23. August 2022: Wurden im Linden-Museum Stuttgart jemals Sammelobjekte gestohlen? 
  
Folge 16 - 16. August 2022 
Folge 16 vom 16. August 2022: Wer entscheidet heute, im Vergleich zu früher, über die Themen der Vorträge? 
  
Folge 15 - 2. August 2022 
Folge 15 vom 2. August 2022: Schrumpfköpfe in einer Ausstellung - Heute noch denkbar? 
  
Folge 14 - 28. Juli 2022 
Folge 14 vom 28. Juli 2022: Wie positionieren Sie sich als Linden-Museum Stuttgart zu Rückgabeforderungen? 
  
Folge 13 - 19. Juli 2022 
Folge 13 vom 19. Juli 2022: Früher waren es wirtschaftliche Interessen - welche Ziele haben die Vorträge heute? 
  
Folge 12 - 5. Juli 2022 
Folge 12 vom 5. Juli 2022: Wann und warum wurde der Vorgängerverein in 'Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V.' umbenannt? 
  
Folge 11 - 28. Juni 2022 
Folge 11 vom 28. Juni 2022: Spielt die eigene Region im Linden-Museum eine Rolle oder geht es ausschließlich um fremde Objekte? 
  
Folge 10 - 21. Juni 2022 
Folge 10 vom 21. Juni 2022: Sollte der Name 'Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart' geändert werden? 
  
Folge 09 - 12. Juni 2022 
Folge 09 vom 12. Juni 2022: Wie sehen die Nachfahren von Graf von Linden seine Rolle? 
  
Folge 08 - 30. Mai 2022 
Folge 08 vom 30. Mai 2022 - Geht das Linden-Museum nach der Ausstellung 'Schwieriges Erbe' anders mit der eigenen Sammlung um? 
  
Folge 07 - 24. Mai 2022 
 
Folge 07 vom 24. Mai 2022: Das denkmalgeschützte, in seiner Symbolik belastete Portal des Linden-Museums verändern?
 
  
Folge 6 - 19. April 2022 
Folge 06 vom 19. April 2022: Was waren die Ziele des „Württembergischen Vereins für Handelsgeographie“, dem 1882 gegründeten Vorgängerverein der GEV? 
  
Folge 5 - 11. April 2022 
Folge 4 - 4. April 2022: Was werden Sie besonders häufig gefragt und wie antworten Sie darauf? Am Ende der Ausstellung gibt es auch einen Bereich, in dem Besucher Fragen hinterlassen durften. Wird dieser intensiv genutzt und welche der Fragen dort hat Sie besonders beschäftigt? 
  
Folge 4 - 4. April 2022 
Folge 04 vom 4. April 2022: Haben aktive Mitglieder der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart Objekte an das Linden-Museum gestiftet oder in die Sammlung eingebracht? 
  
Folge 3 - 14. März 2022 
Folge 03 vom 14. März 2022: Wie wird Theodor Wanner im Rahmen der Ausstellung „Schwieriges Erbe“ bewertet? 
 
Folge 2 - 7. März 2022 
Folge 02 vom 7. März 2022: Begriffe der Kolonialzeit zwischen historischem Kontext und aktueller Erwartungshaltung
 
Folge 1 - 28. Februar 2022
Folge 01 vom 28. Februar 2022: Graf von Linden - Ein Sammelwütiger, Bewahrer, Kulturzerstörer oder Wissensverbreiter?