Das Linden-Museum – die Welt in Stuttgart

Vorgeschichte – der Württembergische Verein für Handelsgeographie 

Die Geschichte des Linden-Museums beginnt mit der Gründung des „Württembergischen Vereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland“ am 27.2.1882. Als die Wirtschaftskrise in den 1870er Jahren Deutschland heimsuchte und die Inlandsmärkte weg zu brechen drohten, sah man sich gezwungen, in Übersee neue Absatzmärkte zu erschließen. Als das Deutsche Reich ab 1884 in den Besitz eigener Kolonien kam, sah sich der Stuttgarter Verein auch als Informationsplattform für die württembergischen Kaufleute und Industrielle. Aus diesem Grund wurde bereits 1884 das „handelsgeographische Museum“ ins Leben gerufen. Der Fokus lag hier noch auf Import- und Exportwaren, Warenproben und Produktmusterserien wie beispielsweise von Textilien oder Tropenhölzern.  

„Unser Museum soll dazu dienen, einerseits die Exportartikel fremder Länder hier bekannt zu machen, andererseits unsern Industriellen zu zeigen, welche Fabrikate an den überseeischen Märkten gefragt und gekauft werden [...]“
Paul Zilling (stellvertretender Vereinsvorsitzende), 1888 

Untergebracht wurde das Museum in einem Saal der Gewerbehalle, wo am 19. April 1885 die erste temporäre Ausstellung südamerikanischer Natur- und Kulturerzeugnisse eröffnet wurde. Essentieller Bestandteil des Vereins war sein selbstgesetzter Bildungsauftrag, den es mit einem umfangreichen Vortragswesen umzusetzen suchte. Bei diesen Vorträgen wurden nicht selten Objekte, darunter auch ethnologische, dem Publikum präsentiert, genauso wie koloniales bis hin zu rassenideologisches Gedankengut vermittelt. 

Karl Graf von Linden – Gründung und Bau des Linden-Museums 

Karl Graf von Linden (1838 - 1910), Jurist und zuletzt Oberkammerherr am württembergischen Königshof, übernahm 1889 den Vorsitz des „Württembergischen Vereins für Handelsgeographie“ und trat für eine ethnologische Ausrichtung des Museums ein, in dem die verschiedenen Kulturen in ihrem damaligen Bestand gesammelt und dokumentiert werden sollten. Im Einklang mit der damals weit verbreiteten Vorstellung, dass die als „Naturvölker“ bezeichneten Gesellschaften durch den Einfluss der europäischen Expansion allmählich verschwinden würden, sah von Linden es als zentrale Aufgabe des Museums an, die Zeugnisse ihrer materiellen Kultur zusammenzutragen und so für die Zukunft zu bewahren. Für die sich gerade erst als wissenschaftliche Disziplin etablierende Völkerkunde war diese Annahme, in der sich evolutionistische Entwicklungs- und Kulturvorstellungen mit der Idee der kulturellen Überlegenheit Europas verbanden, von wesentlicher Bedeutung. Graf von Linden ging dabei mit großem Eifer vor und konnte bis zu seinem Tod 1910 den Objektebestand des Museums auf über 60.000 erhöhen. Dies gelang ihm nur durch die Ausnutzung des auf Machtungleichheit basierenden kolonialen Systems – die konkreten Erwerbumstände spielten für ihn dabei nur eine geringe Rolle. Seine Kontakte versorgten ihn – häufig ohne finanzielle Gegenleistung – mit Gegenständen aus allen Weltregionen. Im Fall besonders verdienter Objektgeber*innen leitete er die Verleihung des königlich-württembergischen Friedrichsordens durch den Württembergischen König Wilhelm II. ein.

Die neue Ausrichtung zeigte sich auch am Namen des Museums. Ab Ende der 1890er Jahre setzte sich der Name „Museum für Völker- und Länderkunde“ durch. Im Ausstellungswesen tat sich seit der Eröffnung des Museums hingegen wenig. Erst am 1. Juni 1889 erfolgte die erneute Eröffnung des Museums auf der Galerie der Gewerbehalle. Die schnell wachsende Sammlung erforderte, sich nach einem neuen Standort umzusehen. Die Entscheidung fiel auf den Bau eines eigenen Hauses am heutigen Standort, dem Hegelplatz. Der Grundstein zum neuen Museum wurde am 10. Januar 1910 gelegt, einige Tage vor dem Tod Graf von Lindens. Am 28. Mai 1911, Graf von Lindens Geburtstag, wurde das Haus von König Wilhelm II. mit dem Namen „Linden-Museum“ eingeweiht. 

Das Museum – Zeit der Weltkriege 

Leitete Graf von Linden noch die Geschicke des Vereins und des Museums in Personalunion, wurden diese Ämter nach seinem Tod getrennt. Dr. Augustin Krämer war der erste Direktor des dem Verein unterstellten Museums. Er versuchte, der Weisung von Lindens folgend, ein Völkerkundemuseum von Weltruf aufzubauen. Er folgte damit von Lindens Bestreben, die Lebenszeugnisse indigener Kulturen vor deren Untergang zu retten und zu dokumentieren. Für Theodor Wanner standen hingegen nach wie vor die Kolonialinteressen im Vordergrund. Die Folge war, dass Augustin Krämer abgesetzt wurde. Formal war Herzog Wilhelm von Urach, Graf von Württemberg, Vereinsvorsitzender, maßgeblich geleitet wurde der Verein aber von Wanner, der von 1928 bis 1953 dann auch offiziell Vereinsvorsitzender war. Krämer wurde durch Theodor Koch-Grünberg ersetzt, der von 1915 bis 1924 den Direktorenposten innehatte. Nach einer Vakanz der Stelle übernahm Heinrich Fischer von 1932 bis 1945. Er war bereits seit 1898 am Museum tätig und dort ab 1911 Kustos.

Der Erste Weltkrieg brachte 1918 das Ende der Kolonien, wodurch in der Folgezeit der Objektzuwachs stark zurückging. Die finanzielle Lage des Vereins verschlechterte sich ab den 1920er Jahren zunehmend. Dennoch sollte die finanzielle Unabhängigkeit gewahrt bleiben. In dieser Zeit des Kolonialrevisionismus fällt auch die große Kolonialausstellung in Stuttgart (1928), die maßgeblich vom Verein und Wanner organsiert wurde. Zur Rolle des Vereins während des Nationalsozialismus hingegen gibt es bis heute wenige Erkenntnisse und es besteht noch ein entsprechender Forschungsbedarf. Der Verein und das Museum wurden aber nicht vom Nationalsozialismus übernommen und konnten ihre Eigenständigkeit bewahren. Es gab keinen Personalwechsel in der Leitung und ebenfalls keine vorauseilende „Selbstgleichschaltung“. Museumsdirektor blieb Heinrich Fischer und Theodor Wanner war durchgehend bis 1953 Vereinsvorstand. Versuche, das Linden-Museum 1934 in ein Volkskundemuseum im Sinne der NS-Rassenideologie umzuwandeln, wurden abgewehrt. 

Im Hinblick auf die bevorstehenden Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges wurden ab Herbst 1942 große Teile der Objekte in das Salzbergwerk Kochendorf sowie in die Schlösser Schaubeck und Erbach ausgelagert. Großobjekte wie Originalboote oder Großmasken konnten leider nicht ausgelagert werden und fielen dem Krieg gänzlich zum Opfer. Bei einem Luftangriff am 12. September 1944 wurde das Linden-Museum leicht beschädigt. Erheblich schwerwiegender war die Zerstörung des Hauses durch den anschließenden Flächenbrand, der sich durch die Lagerung von Möbeln durch die Stadtverwaltung in den Räumen des Museums, schnell ausbreitete. Nur das Untergeschoss des Museums blieb erhalten. 

Das Museum – von Nachkriegszeit bis zur Verstaatlichung 

Unmittelbar nach Kriegsende bemühte sich Theodor Wanner um den Wiederaufbau. Das Linden-Museum wurde als eines der ersten zerstörten Gebäude in Stuttgart wiederhergestellt. Bereits 1949 stand das Gebäude des Linden-Museums wieder, wurde jedoch großenteils dem Kultusministerium Württemberg-Baden zur Verfügung gestellt, das die Räume als Pädagogisches Institut der Landesanstalt für Erziehung und Unterricht nutzte. Die ersten Dauerausstellungen zu den Bereichen Südsee und Afrika wurden aufgebaut, später auch eine zu Amerika. Der Wiederaufbau des Museums hatte das Vermögen des Vereins aufgezehrt. Ab 1953 erklärte sich die Stadt Stuttgart bereit, die Kosten des Museums zu tragen, und ab 1964 übernahm auch das Land ein Drittel aller Museumskosten. Am 15. Oktober 1973 wurde schließlich ein Vertrag aufgesetzt, der die Trägerschaft des Museums durch das Land Baden-Württemberg sicherte. Das Linden-Museum wurde dadurch ein Landesmuseum und lag in der gemeinsamen Trägerschaft von Stadt und Land. Insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Verstaatlichung des Museums verkaufte und tauschte der Verein unzählige Museumsobjekte. Viele davon wurden an Ethnografika-Händler abgegeben, weswegen bis heute frühere Objekte des Linden-Museums auf dem Kunstmarkt zirkulieren. 

Das Museum seit der Verstaatlichung 

Ende der 1970er Jahre konnte schließlich wieder das ganze Haus vom Museum genutzt werden. Nach umfangreichen Sanierungen wurden im Sommer 1985 die neu entstandenen Dauerausstellungen für Alt-Peru, Nordamerika, Afrika, Orient und Südsee eröffnet. Ein Jahr später folgte die Einrichtung der Dauerausstellung für Süd- und Ostasien. In allen Bereichen wurden Erlebnisbereiche eingerichtet wie das japanische Teehaus, der orientalische Bazar, der Tibetaltarraum und das Kamerun-Haus, die bis heute erhalten sind. Zur Jahrtausendwende verzeichneten die Bereiche von Süd- und Ostasien (2002) modernisierende Veränderungen, dann Lateinamerika (2003) und Nordamerika (2004). Zuletzt wurden die Ausstellungen zu Afrika (Wo ist Afrika?, 2019) und Ozeanien (Ozeanien – Kontinent der Inseln, 2022) überarbeitet. Die Sonderausstellung „Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus“ (2021-2022) befasste sich kritisch mit der Geschichte des Museums und dem damaligen Trägerverein.

Das Linden-Museum entwickelt sich seit seiner Gründung weiter. Nicht nur die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte veränderte den Blick auf ethnologische Museen. Im Fokus stehen heute ein dynamisches Kulturverständnis sowie neue Formen von Begegnung und Dialog. Wir bestimmen nicht weiter allein darüber, welche Geschichte(n) erzählt werden. Gemeinsam mit Vertreter*innen der Herkunftsgesellschaften, mit Wissenschaftler*innen aus aller Welt und mit interessierten Stuttgarter*innen bearbeiten, erforschen und rekonstruieren wir die Wissenskontexte um unsere Sammlungen und betreiben Provenienzforschung. Wir entwickeln Wege, diese Zusammenarbeit auch in den Ausstellungen und mit Veranstaltungen transparent zu machen. In zahlreichen Projekten erproben wir, wie wir Partizipation in den Kern unserer Arbeit bringen und die Sammlungen noch zugänglicher machen können. Im Hinblick auf einen künftigen Neubau stellen wir uns die Frage: Welche Aufgaben hat ein ethnologisches Museum in Zukunft?